Fremdzuschreibungen, body image und white-passing- Zwischen den Welten – Teil 5

Ich habe mich immer gefragt, wieso ich in der Schule damals bei vielen „JLo“ war.

Jennifer Lopez ist Amerikanerin. Sie ist in NY City geboren und hat puerto-ricanische Herkunft.

Wieso sollte man sie mit mir vergleichen?

Sagen wir mal so: Das habe ich mich auch gefragt, als ich als Teenager dann plötzlich so genannt wurde.

JLo

In den 90ern-2000 war ich plötzlich die „Exotin der Klasse“ (Zitat Mitschüler)

-> Eine kleine Anmerkung dazu: Menschen sind keine Exoten. Das ist eine westliche, ideologische Anschauung aus dem Kolonialismus.

Langsam fanden auch Latinx Musiker*innen, Schauspieler*innen den Weg in die Charts, Filme und Co.

Aus Italien gab es in Deutschland vielleicht noch zu wenige weibliche Referenzen (?) und ich war damals wie bereits erwähnt die einzige mit etwas anderem Aussehen und Namen wie die Lisas in meiner Klasse, was wohl viele an JLo erinnerte – singen und tanzen tat ich ja auch.

Ich mochte Jennifer Lopez, als sie „If you had my love“ in MTV sang, war das also nicht …. ein Kompliment?

Was meine Mitschüler*innen aber meinten, war nicht, dass ich so toll und schön war wie JLo.

Sondern um eines:

Ihren zu großen Hintern.

Wer damals nicht aufgewachsen ist: Vergleichbar in etwa wie als Kim Kardashian groß raus kam.

JLo, das war kein Spitzname, das war ein Name, den man hinter Rücken tuschelte.

Auch erkannten sie weder ihre noch meine Identität an, sondern warfen damit alles in einen Topf.

Aber darum ging es nie, sondern um körperliche Merkmale, die die Lisas Wagners nicht hatten (und wenn dann hießen sie immer noch Lisa Wagner und hatten Deutsche Eltern).

Diskriminierung von Italiener*innen in Deutschland war noch nicht so lange her. Auch wenn ich die 2. Generation war: Auch wir spürten das noch deutlich.

Das sollte mich meine gesamte Teenie Zeit und weit über die 20s hinaus begleiten. Ich bin nicht die einzige.

Aber ich hatte noch Glück:

BIPoC sind dem ausgesetzt und noch vielen Fremdzuschreibungen mehr, werden alleine aufgrund ihrer Hautfarbe angegriffen und sind strukturellem Rassismus ausgesetzt. Ich nicht.

Einmal body shaming und zurück

Das „Hintern“ Thema hat nun eine Wendung bekommen.

Aber auch die, ist temporär.

Vor ein paar Jahren wurde der breite Hintern zum IG Trend.

Menschen fotografierten sich in solchen Posen, dass ihr Hintern größer aussah.

Es sind genau die Influencer*innen, die mich früher deswegen ausgegrenzt haben, die jetzt versuchen,

  1. für ein paar Monate Teile meines Körpers zu idealisieren,
  2. nachzumachen
  3. um dann das Jahr drauf von ihrem Weg zur Natürlichkeit zurück erzählen
  4. und dafür Applaus bekommen.

Als ob mein Körper nicht natürlich wäre?

Dabei haben sie eben einfach aufgehört zu trainieren oder sich nunmal nicht mehr extrem so fotografiert, dass es anders aussieht. Genau so ist das z.B. bei GNTM passiert.

So ein Trend mit entsprechenden # und Reichweite von Nicht-Betroffenen richtet sehr viel Schaden an, wenn sie sich an den Anfang einer Bewegung stellen wie body positivity, in der sie ein-und aussteigen wie aus einem Zug.

Heute #bodypositivity – morgen wieder #gesund ?

Weiteres Problem:

Der ein und derselbe body type wird in Kombination mit Herkunft überrepräsentiert in Hollywood und Co, sodass die Annahme entsteht, z.B. alle „Italian Mafia Chicks“ aka oft Femme fatale hätten einen breiten Hintern und eine schmale Taille (und wenn sie das nicht haben, sind sie wohl nicht xy genug).

Haare

Auch meine Haarlänge ist so ein Thema. Ständig versuche ich das für mich zu besetzen, aber ich weiß noch, wie allen schauten, als ich die 90er Jahre Kurzschnitt Beckham Frisur tatsächlich umsetzte. Das war nicht edgy und cool wie bei Lisa und Katharina sondern Verrat.

Es fällt sehr schwer, mal etwas nur für dich zu machen, wenn du immer entweder der einen oder anderen Seite gefallen musst.

Auch ist meine Haarstruktur nicht wie die meiner Mutter, ich habe Haare wie mein Vater. Dick, frizzy, nicht jedes Produkt hilft. Friseur*innen wundern sich, warum der Schnitt nicht so fällt, wie er sollte. Als könnte ich was dafür.

Trotzdem:

Wie immer auch hier das Privileg, dass ich trotz meiner dicken Haare immer noch Haare habe, die gesellschaftlich akzeptiert werden und Beauty Standard sind, im Gegensatz zu BIPoC:

“Black and brown people were portrayed as being wild and untamed. And that trickled down to talking about hair.”

Why is black hair so political?

Mein Privileg ist z.B., dass niemand unbedingt ungefragt meine Haare anfassen wollte da ich nicht als othernd empfunden wurde. Ich musste meine Haare auch nie bändigen – mehr als Lisa Wagner ja – aber ganz sicher nicht wie Personen, die Afro Hair stylen müssen und z.B. für ein Vorstellungsgespräch glätten oder sogar Perücken tragen. Ich wurde nicht aufgrund meiner Frisur und Haarstruktur von Institutionen kontrolliert. Oder musste Mützen tragen, wenn ich nicht wollte. Und ein ganz praktisches Beispiel von Alice Hasters:

Wie es um die Anerkennung von Afrohaaren steht, zeigt sich außerdem offensichtlich in den Drogerien dieser Welt: In einer konventionellen Drogerie sind Produkte für Afrohaare nicht zu finden.

Warum Afros immer auch politisch sind

Sei es in Drogerien, in Politik oder Medienwelt finde ich meine Haarfarbe, Länge und Struktur repräsentiert wieder.

Trophäensammlung

Ich wurde auch „Latina“ genannt, nicht nur einmal – (Zu dem Begriff und der Verwendung in Folgeartikeln mehr.) Wie immer: Geographische und politische Bedeutungen waren den Leuten EGAL, denn sie konnten ihre Illusion aufrecht erhalten, etwas auszutesten, was „fremd“ war – obwohl ich ja hier geboren war.

Sicher stand ich jedoch in keinerlei Konkurrenz zu den „richtig Deutschen Mädels“ wie Lisa, Julia und Katharina, auch wenn bei uns im Ausweis dasselbe stand.

„Du bist doch Südländerin! Du bist nicht Deutsch!“ habe ich von Dates gehört.

Wie eine Trophäe, an die man sich klammert, zählte auch da nicht die Antwort „Halb“.

Fremdbestimmt wurde meine Identität bzw. Herkunft schon immer.

Hautfarbe

Ich habe helle Haut, alleine diese Tatsache gibt mir so viele Privilegien, die Bücher füllen könnten.

Leider habe ich anscheinend wohl extreme Augenbrauen und irgendwelche anderen Merkmale, die darauf schließen, von Fremden so angsprochen und als anders dargestellt zu werden.

„Mulatto“ verstand ich damals noch nicht. Wahrscheinlich auch die Kinder nicht, die es mir hinteherriefen. Woher hatten sie dieses Wort, frage ich mich heute? Aber ich wusste: Das tat weh. Das war etwas unsagbar gemeines. Was an mir war so anders? Ich verhielt mich wie sie, ich sprach wie sie, ich sah doch aus wie sie? Oder? Es reicht wohl, dass sie meinen Vater kannten.

Meine Jugendzeit? Wenn Personen am Kassenband innen halten und dich fragen:

„Aber du bist nicht Deutsch, richtig?“ mit einem verschmitzten Grinsen, so als hätten sie dich entschlüsselt, da fängst du dann an, dein Aussehen zu hinterfragen.

Im Kontrast dazu war ich vielen Deutschen und Italiener*innen nicht Italienisch genug, so nach dem Motto:

„Was machst du eigentlich richtig? Ist dir das nicht peinlich, so blass zu sein?“

Mit 14 wurde mir geraten, ins Sonnenstudio zu gehen, um „wenigstens die richtige Hautfarbe deiner Herkunft zu bekommen. Du siehst ja aus wie ein Vampir!“

Von Mitschüler*innen und Lehrpersonen. Von Fremden. Von Freunden. Von Verwandten.

Keine Kategorie konnte ich zufriedenstellend ausfüllen:

Weder das Deutsch noch das Italienisch sein.

So geht es vielen von uns, die „halbhalb“ sind.

Erst jetzt hab ich zum Beispiel eine Bezeichnung gelernt, Pale Olive Undertone Struggles, da immer mehr white-passing Personen auch im Make Up Bereich über ihre Erfahrungen berichten.

My own skin is pale enough that I often have trouble finding a light enough foundation at the drugstore. If I’m lucky, I can just get away with the lightest shade. It turns out “olive” is not simply a word used for medium skin tones, but a fourth type of undertone. One that isn’t talked about much, but definitely exists and comes in all different shades from light to dark.

Pale Olive Undertone Struggles

Augenbrauen

Es gab in den 90ern eine weitere Regel:

Je dünner die Augenbrauen, um so besser.
Auch die Gegenbewegung „Natürlich“ hieß nicht wie heute „so wie jede*r ist“ sondern:

Auf keinen Fall buschig, dunkel, dick.

Auf gar keinen Fall als Frau.

Dieser Beauty Standard dauerte sozusagen mein halbes Leben, bis dann irgendwann eine Cara Delevingne das ganze umdrehte. Das war dann schon fast ironisch für mich, denn Cara und ihre Eltern haben keine Geschichte der Migration.

Meine Augenbrauen habe ich früher also zum Beispiel gehasst.

Nun sind sie ein Trend von Leuten, die sich extra dicke Aufmalen und dann einfach wieder zu dünnen zurück gehen, wenn der Trend vorbei ist.

Als Teenie gab es zu meiner Zeit noch keinen Beauty Stand bei Drogeriemärkten, in der ich das hätte „verbergen“ also auszupfen können und sowieso… hatte ich auch nicht das Geld dafür.

Dicke Augenbrauen sind außerdem auch oft mit Schmerzen verbunden, da die Haare einfach dicker sind, aber das sind Dinge, von denen will die Mehrheit nichts wissen. Es gab auch keine Youtuber*innen, die mir gesagt hätten, dass das ok so ist. Das waren die 90er. Ich war verunsichert und das Net gab es noch nicht. Ich war einfach nur anders und so wuchs ich auch auf. Noch heute schneide ich Selfies direkt unter den Augenbrauen ab, ich habe aber gelernt, damit viel besser umzugehen und es manchmal sogar schön so zu finden.

Einmal war ich dann viele viele Jahre später bei so einem Augenbrauenstand und hörte „Du weißt gar nicht wieviele Personen dich um deine Augenbrauen beneiden!“. Es hat einerseits gut getan, andererseits wusste ich, dass das alles bald wieder vorbei sein würde.

„Augenbrauen wie Bert“, „Latina Hintern wie JLo“, solche Sätze sollte ein Teenie nicht hören (und nie).

Vor allem letzteres konnte ich mir nicht wegoperieren und so wurde ein Körpermerkmal von mir ungewollt Gesprächsstoff der Schule in Kombination mit meiner „abenteuerlichen Herkunft“, ohne dass ich irgendwie einen Einfluss darauf gehabt hätte.

Das zog sich dann auch in den Beziehungen fort.

Stichwort wieder: Trophäensammmlung.

Instead of your partner actually getting to know your sexual preferences, they choose to classify you based off of your ethnicity. These stereotypes may differ among minority groups: East Asian women are viewed as submissive, South Asian and Middle Eastern women as bizzare and alluring, Latina and Black women as strident and aggressive. The list goes on. For mixed people, this fetishization is portrayed as exoticism.

ME, MYSELF, AND MY MIXED IDENTITY

Heiß ist man halt eben auch nur, wenn man innerhalb dieser Beschreibungen bleibt. Kommen menschliche Züge dazu und persönliche Präferenzen, ist man plötzlich die laute, schrille, massive und auch: „dreckige Mafia Latina“.

Ich hasste meinen Körper also.

Warum konnte ich nicht einfach ganz normal Deutsch aussehen? Erst viele Jahre später habe ich angefangen diesen Körperteil von mir nicht mehr zu verstecken oder mir von Fremden zuschreiben zu lassen.

Trotz allem: Meine Augen an sich waren nicht Angriffen ausgesetzt, wie z.B. bei Personen aus der asiatischen Diaspora oft der Fall ist.

Unterschiede body shaming von BIPoC und white passing

BIPoC sind die Gruppe, die nach wie vor am meisten body shaming erfahren:

„We cannot deny the fact that fat-phobia is rooted in anti-Blackness. That’s simply an historical reality“ 

The racial origins of fat stigma

Werde ich also als white-passing für meinen Körper und Teile meines Gesichts geshamt, so bleibt mir immer noch das Privileg des passings für alles andere.

Auch wenn ich viele Situationen erlebt habe, mir viel anhören müsste, was mich mein Leben lang prägen wird, so werde ich immer noch z.B. in ärztlicher Behandlung ernsthafter genommen wie BIPoC. Auch die Aussage „Das ist halt genetisch“ so (wegen Augenbrauen, Hintern) habe ich schon gehört zu mir, bei mir wird es dann ab und zu noch verständnisvoll gesagt.

Bei BIPoC werden egal welche körperlichen Merkmale (zusätzlich noch zur Hautfarbe) genommen und sie mit Begriffen wie „genetisch“ vermischt und das in einer abfälligen Art und Weise, die gleich dann zusätzlich die ganze Ethnie mitmeint.

Grund dafür ist die immer währende Suche nach neuen Merkmalen, um rassistisch einzuteilen:

So the idea was that Black people had more venereal diseases, and that Black people were inherently obese, because they lack self-control. And of course, self-control and rationality, after the Enlightenment, were characteristics that were deemed integral to Whiteness.“

ebd. da

Wenn ich nun weniger für mein Aussehen angesprochen werde (siehe:Trend) bis gelobt „Kurven“, sagt man das heute so zu mir, weil es immer noch vorstellbarer ist mit mit zu interagieren.

Teiles meines Körpers werden nicht als weiß gelesen, andere widerrum schon. Deswegen: Passing.

  • Auch ein weißer Körper kann Angriffen von body shaming werden. Trotzdem fällt die Kombination mit Herkunft und weiteren Merkmalen weg. Angriffe sind losgelöst von z.B. Hautfarbe, Gesichtsmerkmale, gesellschaftliche Stereotypen.
  • White-Passing / u. auch Mixed erleben diese Angriffe unterschiedlich ausgeprägt, aber sie finden statt.
  • Für BIPoC ist es nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Außerdem hat fatshaming im Rassismus seinen Ursprung,. BIPoC sind am meisten Fetischisierung, Übersexualisierung und Angriffen ausgesetzt.

Erfahrungsberichte wie meiner sollten immer nur dazu dienen, erlebtes zu Verarbeiten und einzuordnen.

Wir dürfen und sollen über unsere Erlebnisse auch heute noch sprechen, trotzdem sollte allen bewusst sein, dass diese Erfahrungen nicht mit denen von BIPoC gleichzusetzen sind.

Ich hoffe mein Artikel hat dazu beigetragen, das zu realisieren.

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