Identität – Zwischen den Welten – Teil 4

Ich lebe zwischen den Welten.

Zwischen zwei Kulturen.

Habe ich zwei Heimatorte oder nur einen?

Entscheidet das mein Pass oder ich?

Ich lebe zwischen den Duft von der Waffeln, die meine Oma gemacht hat und dem Klang der Zapatas meiner Zia, die der Gatto etwas hinterherschreit.

Beide leben nicht mehr, meine Oma und meine Tante.

Hier und dort.

Das sind nur zwei Familienmitglieder, die an der sich immer währenden, verzweigten Weggabelung namens „Wohin gehöre ich? Wer bin ich?“ standen.

Denn: Sie verbinden Erinnerungen, meine Identität.

Eine tiefe Verbundenheit, die alle Sprachbarrieren überwindet.

Meer, das ist für mich nicht ein Urlaubsziel, das ist ein Teil von mir. Die Zitronenbäume, die Wäsche am grünen Drahtzaun, rei uno im Fernsehen, Comics auf italienisch, das Geräusch der knatternden Vespas, die pane, die am Abend steinhart sind, das am Feuer sitzen und den Erwachsenen lauschen, die ich als Kind alle noch verstanden habe. Das Gesicht meines Vaters, das sonst so besorgt, nun ab und an mal Zufriedenheit ausstrahlt.

Doch alles verschwimmt.

Ungewollt verblasst alles.

Gerade erst, als ich anfange, mir allem bewusst zu werden.

Als ich es mir erlaube, anders zu sein.

Ich zu sein.

Zwischen den Welten zu leben.

Gerade dann, verblasst es.

Warum?

Die ständige Distanzierung hat Spuren hinterlassen.

Die Distanzierung, die mir so von außen auferlegt wurde.

Je mehr ich lesen und nachdenke, je mehr wird mir bewusst, dass ich nie über Erfahrungen sprechen konnte, durfte, sollte.

Im Prinzip 30 Jahre lang.

Wie es wohl meinem Vater ergangen sein muss, der in den 60ern/70ern, nicht wie ich im Jahr 2021 einen Blog führen kann, um auf das aufmerksam zu machen, was er erlebt hat? Für den Niemand eingestanden ist?

Wie es wohl generell denen ergangen ist, die als Gastarbeiter*innen nach Deutschland kamen?

Ihre Geschichten werden nie erzählt werden. Auch heute gelten sie noch als unwichtig. (mehr dazu: Anti-Italienism)

Nur an die besorgten Gesichtern unserer Eltern – die werden wir wohl nie vergessen.

Was wir auch nicht vergessen können: unsere Erfahrungen.

Distanz als Überlebensstrategie

Ich kann nicht von allen Erfahrungen erzählen, die ich als Kind machte oder nur ansatzweise.

Nur soviel: Selbst in den weiterführenden Schulen waren in meiner Klasse mehr als die Hälfte Nazis.

Die anderen sahen das Problem nicht oder schwiegen dazu.

Waren beide oder auch nur ein Elternteil von dir nicht Deutsch (z.B. auch Türkisch), musstest du mit ständiger Konfrontation dessen rechnen.

Heute ist das nicht anders, nur die Zielscheiben haben sich entweder verloren (Italiener*innen) oder leider noch mehr verhärtet (BIPoC).

Panik vor der Klassenliste

Als Kind fand ich meinen Namen eigentlich schön.

Gerade weil er so lang war und nicht jedes Kind so einen langen Vornamen und dann noch eine Vorsilbe hatte. Und weil es mich immer an meine 2. Heimat erinnerte und meine Familie dort, die meinen Namen ganz anders betonen als meine Verwandte und Freunde hier. 20 Buchstaben, nimmt man den ganzen Namen.

Das änderte sich, als ich in die Schule kam.

Ab da an war mein Name immer ein Problem.

Dieses Gefühl, wenn Lehrpersonen diesen Zettel in die Hand nehmen, vor allem am 1. Tag und dein Herz ganz schnell pocht einfach wegen deinem Namen und der Angst vor den Reaktionen – das vergisst du nicht.

In den meisten Jahren, war ich die einzige auf der Klassenliste, die keinen Deutschen Namen hatte. Auch die Lehrpersonen hießen alle Frau Rotkohl, Herr Müller usw.

Als 8jährige gehst du sicher nicht hin und behauptest dich gegen das falsche Aussprechen/Abändern deines Namens und wenn du es versuchst, wird dir nicht zugehört.

Früher wurde die Klassenliste jeden Morgen vorgelesen.

Über ca. 200 Tage in einem Schuljahr.

200x hahahahaha und Namen falsch hören, bis du ihn hasst.

Es ging nicht nur um die Schreibweise, sondern natürlich auch die Aussprache.

Und wurde der Name mal richtig gesagt – dann mit ganz großem Trara wie extra Betonung oder fake Italienischem Akzent plus Gestik.

Eyyyyy it’se meee, Mario. So ungefähr.

Heute sind viele Lehrpersonen zum Glück sensibilisierter und versuchen von sich aus, das richtig zu machen.

Damals wurde noch eine Schippe drauf gelegt.

Fetischisierung

Ab der 5. Klasse – da war ich 11/12? -waren sexuelle Anspielungen dabei die meinen Namen und damit mich als exotisch und verrucht darstellten, so dass ich dann beschämt, wütend und hilflos auf den Boden sah.

Niemand in meiner Klasse hatte so einen Namen und in den 90ern hießen viele Erotikfilme so, die damals nicht nur durch ihr Thema, sondern durch ihr Alleinstellungsmerkmal etwas Verbotenes, Fremdes hatten und damit auch gleichzeitig zu verurteilen waren.

Oft versuchte ich, mitzulachen, wenn täglich Witze mit meinem Namen gemacht wurden.

Was blieb mir anderes übrig, wenn selbst Lehrpersonen mitlachten? Viele erkannten nicht die Notwendigkeit, einzugreifen.

Es war, als würden mich die Worte jeden Tag symbolisch mit Händen berühren und ich musste dabei starr stehen.

Von Mitschüler*innen die Springerstiefel trugen, Bomberjacken und eindeutigen Nazi Symbolen- und Tshirt Sprüchen und das Sagen in der Schule hatten.

Ich war machtlos, also lachte ich mit. Auch aus Angst.

Heute weiß ich: Das ist eine Überlebensstrategie, die sich alle Kinder aneignen, die feindliche Erfahrungen machen, keine Community haben, zu der sie gehen können und einfach nur wenigstens ein bisschen akzeptiert werden wollen.

Wie willst du auch anders durch die Schule kommen, wenn du tagaus tagein mit solchen Dingen konfrontiert wirst?

Während in den 1990er Jahren mit dem europäischen und kommunalen Wahlrecht zwar die politische und symbolische Inklusion der Italiener voranschritt, die nun deutlicher als europäische Mitbürger wahrgenommen wurden, war die Situation der zweiten und dritten Generation der Italiener in Deutschland hinsichtlich Arbeitsbedingungen, Schul- und Berufsausbildung nach wie vor kritisch

https://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/259001/italienische-zuwanderung-nach-deutschland

Meine Eltern begann ich für meinen Namen zu hassen.

Es gab viel Streit und Vorwürfe.

Auch das zersetzt eine Familiengemeinschaft von innen, weswegen wir eben NICHT wie viele denken, mit allem zu unseren Eltern gerannt sind – konnten sie ja auch nichts machen.

Oft schwor ich mir, als Erwachsene meinen Namen zu ändern.

Ich kürzte ihn ab, wo es nur ging und manchmal schrieb ich nicht meinen vollen Nachnamen hin.

Diese Pläne schmiedete ich als verzweifelte 12jährige.

Nicht nur einmal.

Hinweis: Meinen Namen habe ich heute noch. Trotzdem soll hier erwähnt sein dass die Distanz zu meinen Namen nur aus Diskriminierung heraus entwickelt wurde und ich ihn zumindest im Smalltalk oder auf Social Media abschwächen kann und in manchen Sekunden sogar mag. Hingegen trans Personen und nicht binäre Personen kämpfen heute noch mit vielen Kosten dafür, dass sie den Namen bekommen, der ihnen zusteht und sie repräsentiert. Mein Name ist nur entwurzelt und von mir weggerissen, ihr dead name wird NIE okay sein. Das ist ein großer Unterschied.

Neid, Missgunst – „Wie kann das sein…?“

Die die sich ideologisch als „100% Deutsch“ betitelten sahen es nicht gerne, dass ich so gute Aufsätze schrieb.

Es war egal, dass meine Mutter Deutsch war, es wurde sich auf meinen Vater fokussiert.

So ist das ja immer, es wird Deutsch als Sprache erwartet – aber am liebsten mit Akzent und du machst Fehler, sodass sie dich korrigieren können und sich überlegen fühlen. Nie sollst du sie übertreffen.

Deutsch ist meine Muttersprache, ich kann Schwäbisch.

„Es kann doch nicht sein, dass DIE besser ist wie ICH!“ hörte ich dauernd von Mitschüler*innen.

Sehr oft sollte ich in Pausen (!) ihre Aufsätze lesen, um dann zu bestätigen:

„Ja stimmt, du hast auch eine 1 verdient!“

Immer mussten anderen mindestens GENAUSO gut sein oder eben ich wurde wohl dann bevorzugt.

Dass ich meine Kindheit damit verbrachte einfach die ganze Bücherei zu lesen, Sprache liebte, war wohl als Erklärung nicht ausreichend.

Meine Aufsätze wurden oft vorgelesen, laut. Am Anfang freute ich mich, dann war es mir nur noch unangenehm, da ich so viele neidische Blicke bekam. „Lasst mich doch auch einfach mal in etwas gut sein!“ wollte ich rufen.

Das ging aber bei Lehrpersonen weiter. Ich erinnere mich noch, als ein Lehrer meinem Geschwister für den Aufsatz eine 4 gab, „wegen dem Deutsch“.

Mein Geschwister sprach und spricht perfektes Deutsch und kann sich auch sehr gut schriftlich ausdrücken.

Aber diese Akzeptanz dafür fehlte einfach, dass auch in ihren Augen „Halbdeutsche“ gute Ergebnisse liefern – und damit meine ich gut schreiben – konnten.

Selbst wenn wir hier geboren sind.

Halb Halb.

„Das ist doch nichts ganzes und nichts richtiges!“

Und so wurden unsere Arbeit und auch wir bewertet.

In keiner Kategorie gut genug.


Dies ist nur ein Bruchteil der Erfahrungen der Schulzeit, die Teeniezeit geht im Folgeartikel weiter.


Kein Wunder also, dass wir einen Distanz zu allem entwickelt haben:

Zu unseren Namen, zu unserer Identität, zu unserer Kultur, zu unserer Familie.

Zu uns selbst.

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